Am Anfang war ein angebranntes Rissotto. In der schwarzen Reisschicht am Topfboden sah Alexis Wiasmitinow die Grundidee seines Geschäftsmodells: EveryCook, ein smarter Kochtopf, der nichts anbrennen lässt – und der richtig kochen kann.
Alexis ist Mitte dreißig, halb Schweizer, halb Franzose. Er wohnt mit Frau und Tochter am Rand von Winterthur bei Zürich. Von der kleinen Terrasse aus blickt er auf Felder und Wiesen, am Horizont wachsen Himbeeren. Auch unternehmerisch hat Alexis Weitblick. Er baut ein Ding für das Internet der Dinge, hochgradig vernetzt und kommunikativ: Der EveryCook beglückt Menschen mit wenig Zeit oder Talent zum Kochen. Und er lässt sie teilhaben an einer weltweiten Rezeptsammlergemeinschaft – Kochen 2.0 dank DigiMeals, den maschinenlesbaren Rezepten. So unterscheidet sich der EveryCook von Kochautomaten, die bereits im Handel erhältlich sind. Und die nicht wirklich vernetzt sind.
Geschützte Entwicklungsräume
Nachdem die Hausverwaltung murrte, prüfte Alexis den Mietvertrag, fand darin aber keine Verbotsklauseln für Innovationsarbeit im Keller. So konnte er weiterlöten. Ein weiterer Standortvorteil in dem völlig gewöhnlichen Schweizer Mehrfamilien-Mietshaus: der Luftschutzkeller. Wenn Alexis die schwere Tür zuzieht, hinter der im nuklearen Ernstfall 57 Hausbewohner ein paar Tage überleben könnten, hat er Ruhe. Und umgekehrt: Nicht mal nachts hören ihn seine Nachbarn, wenn er Bleche fräst und Teile zusammenhämmert.
In einem zweiten Kellerraum ist Alexis’ Elektronik-Tüftelstube. Hier entstehen immer neue Versionen der EveryCook-Prozessoren. Der intuitiv bedienbare Kochroboter kann zerkleinern, rühren, kochen, schmoren, frittieren, wiegen und Anweisungen geben, wann und wie viel von welcher Zutat gebraucht wird. Wenn genug von der gewünschten Zutat eingefüllt ist, sagt EveryCook ganz einfach «Stopp». Die Einkaufsliste landet vorher auf dem Smartphone und bald wird EveryCook auch die Nährwerte anzeigen können, pro Portion natürlich. EveryCook lässt sich auch morgens befüllen und abends auf dem Nachhauseweg per App einschalten. Dann duftet beim Öffnen der Tür schon das Essen.
Buildership hat feine Zungen und gekostet: deliziös, das indische Curry, wie selbstgemacht und frisch zubereitet. Das wurde es ja auch, nur halt von einem Gerät. Lediglich einkaufen, die Zutaten waschen und manche schälen und vierteln muss man selbst. Den Rest macht der Chip-Koch.
Teamfaktoren
Im Team von EveryCook arbeiten ein weiterer Programmierer, ein Sales Manager, ein CFO und ein Praktikant. Samuel, der Programmierer, füttert EveryCook und Web-Interface mit PHP, JavaScript und C. Den Sales Manager Max hat Alexis auf einer Speed-Dating-Veranstaltung für Mitgründer kennengelernt. (Diese kann Alexis übrigens nur Menschen mit Geduld empfehlen: 10 Prozent Conversion Rate war seine Erfahrung.) Max hat Chemie studiert, aber sein Herz schlägt für Sales – er hat die Formeln für erfolgreiche Verkaufsgespräche ganz einfach im Blut. CFO Thomas hat an der Universität von St. Gallen studiert und bringt fundiertes Finanzwissen und -handwerk in die Unternehmung ein. Thomas beobachtet auch die Marktbegleiter. Der Praktikant Arthur ist extra aus Frankreich angereist, um von Alexis zu lernen. Der Gründer bringt seinen Praktikanten sogar im Gästezimmer unter. Kochen für alle geht schnell dank Prototyp in der Küche. Und mit jedem Essen landen neue Ideen für Verbesserungen und Weiterentwicklungen auf dem Tisch.
Der Gründer und das Geld
Alexis hat sein Ingenieurdiplom an der renommierten ETH Zürich abgeschlossen und beherrscht den Dreiklang aus Elektronik-Hardware, Mechanik und Softwareprogrammierung. Das Führungshandwerk wiederum hat er in seinem ersten kleinen Start-up gelernt, einem Internetcafé in Basel. Dort lernte er auch seinen Programmierpartner Samuel und seine Frau Maria kennen. Doch die hohen Mietkosten an zentraler Lage in Basel gingen zu schnell ins angesparte Geld. Er musste das Café wieder schließen und eine Festanstellung annehmen. So verdiente sich Alexis die Mittel für Materialien, um in seiner Freizeit Prototypen zu bauen.
Nach vier Jahren Entwicklungszeit hat Alexis seinen festen Arbeitsvertrag in einem Ingenieurbüro gekündigt und sich alle Pensionansprüche vorzeitig auszahlen lassen. Somit investiert er Zukunft in die Gegenwart und umgekehrt: Die Eigenkapitalfinanzierung aus dem Pensionsfonds trägt für eine gewisse Zeit seine Lebenshaltungskosten, damit er sämtliche Zeit, Begeisterung und Ideen in EveryCook investieren kann. Aber jede gewisse Zeit hat ihr Ende. Also ist sein nächstes Ziel, Venture Capital einzuwerben. Alexis will dafür auch in die USA gehen. Das Internetcafé in Basel verbrannte Bargeld zu schnell. Der EveryCook aber reduziert die Burn-Rate von Risotto, Reis, Curry und Co. auf null. Und kann richtig heiß kochen.
[September 2014]