Jedes Jahr reisen rund drei Millionen Menschen nach Berlin, um Reichstagskuppel und Plenarsaal zu besuchen. Rund eine Million davon auf Einladung des Abgeordneten aus ihrem Wahlkreis. Viele Wähler in Deutschland möchten gerne wissen, was ihre Stimme in Berlin so macht und wie das politische Leben in der Hauptstadt funktioniert. Doch allzu teuer darf die Reise nicht und gut organisiert muss sie sein. Das dachten sich Susanna und Daniel Wiegand im Jahr 2005 und erkannten beide das Marktpotenzial.
Susanna, damals Freundin und heute Frau des einen Gründers von Hauptstadtreisen.com, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Abgeordneten. Sie konnte den Abgeordneten 2005 überzeugen, sich die Idee genauer anzuhören, als dessen Partei-Ortsverband gerade eine Reise nach Berlin organisieren wollte. Susanna gab Daniel neben dem Anstoß und dem Kontakt sogar noch ein kleines Gründungsdarlehen. So konnte sich der Diplom-Politologe von Anfang an voll auf die Unternehmung konzentrieren.
Gründerteam
Bald wurde Daniel klar, er braucht Verstärkung, sobald das Geschäft in Schwung kommt. Er suchte einen Geschäftspartner, dem er absolut vertrauen kann. Erste Wahl war sein Zwillingsbruder Dominik, der passenderweise Wirtschaft studiert hatte und ebenfalls gerne um die Welt reist. Dominik war zunächst nur angestellt, um zu schauen, wie es läuft. Doch es lief und daraufhin stellte Daniel seinen Bruder vor die Wahl: aussteigen oder richtig einsteigen. Dominik stieg ein und wurde 2007 Gesellschafter und Mit-Geschäftsführer. Seitdem entscheiden beide gemeinsam über den Weg ihrer unternehmerischen Reise.
Doch bevor der erste Bus mit Hauptstadtreisenden nach Berlin fuhr, mussten Daniel und Dominik erstmal im Büro eines Abgeordneten des Bundestags sitzen. Sie krempelten ihre Ärmel hoch und gaben offen zu, dass sie noch nie eine Gruppenreise organisiert hätten – aber willens und fähig seien, das zu tun. Ihr Preis pro Person lag etwa bei der Hälfte des Preises, den eine andere Reisegruppe zuvor für Bus und Hotel bezahlt hatte, die alles selbst organisierte, um ihren Abgeordneten in Berlin zu besuchen. Ein professioneller Reiseveranstalter bucht halt viele Reisebusse und Hotelzimmer. In den Mengenrabatten liegt die Marge. Aber nicht der einzige Schlüssel zum Erfolg.
Erfolgsfaktoren
Dank gründlicher Planung und Durchführung vor Ort muss sich die Reisegruppe um fast nichts kümmern – außer ihre Wünsche äußern. Die unternehmerische Philosophie von Daniel und Dominik ist nämlich einfach: Alles, was sich Kunden wünschen, ist Pflicht. Und dazu die Kür: Immer begrüßt einer der Brüder oder eine Mitarbeiterin die Reisegruppen in Berlin und überreicht Stadtpläne und genaue Wegbeschreibungen persönlich. Auch die stets zu den Vorlieben passenden Tipps, wo man gut speisen und die Stadt erkunden kann, bindet Kundschaft ans Unternehmen.
Wer mit Daniel, Dominik und ihren Mitarbeitenden telefoniert, merkt schnell, warum Kunden gerne bei ihnen buchen: Sie haben Freude am Kontakt mit Menschen und vermitteln das gute Gefühl, dass die Reise bestens organisiert wird. Das Versprechen lösen sie ein und so werden aus Kunden Stammkunden und Markenbotschafter, die Hauptstadtreisen.com weiterempfehlen.
Auch den Cashflow behalten Daniel und Dominik gut im Blick: Reisegruppen bezahlen ihre Reise im Voraus. Die gebuchten Reisebusunternehmer und Hotelketten rechnen erst nach der Erbringung der Diensleistung ab. So muss Hauptstadtreisen.com nicht in Vorleistung gehen – und riskiert keine Liquiditätsengpässe.
Mit den Kundenwünschen wachsen
Eines Tages fragten Kunden nach weiteren Reisezielen. Also nahmen Daniel und Dominik Dresden, Hamburg und München mit ins Programm. Auch für jüngere Reisegruppen wie Schulklassen und Sportclubs begannen sie, Reisen zu veranstalten. Und mehr Städte kamen hinzu: Prag, Wien und Brüssel. In Brüssel gibt es wiederum politische Institutionen zu besuchen und Politiker zu treffen. So schließt sich der Kreis zum Ursprungsangebot. Auch nach Amsterdam und Den Haag veranstalten Daniel und Dominik mittlerweile Busreisen, um zum Beispiel Europol und den Internationalen Strafgerichtshof zu besuchen.
Rückblick und Ausblick
Der absolute Wille, alle Kundenwünsche zu erfüllen, führt zu glücklichen Kunden. Und zu Wachstum, bei dem Fehler passieren können. Darauf angesprochen, nennt Daniel Beispiele für fehlende Entschlossenheit, frühzeitig professionelle Leistungen einzukaufen anstatt alles selber zu machen: Der erste Praktikant war betreuungsintensiv und keine allzu große Hilfe. Ein Angestellter wäre teurer gewesen, aber eben auch produktiver. Software, die Betriebsprozesse abbildet und Buchhaltung automatisiert, hätte früher gekauft werden können. Beim Marketing dasselbe: Macht man alles selbst oder engagiert man Werbeprofis? Alles in allem fasst Daniel zusammen: Er habe zu lange im als am Unternehmen gearbeitet.
Heute konzentrieren sich Daniel und Dominik mehr auf die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells und weniger auf das Tagesgeschäft – dafür haben sie zwei Angestellte und zwei Auszubildende. Lange saß jeweils eine Angestellte bei Daniel oder Dominik mit im Zimmer und bekam die Unternehmskultur vorgelebt – nicht vorgeschrieben: Kompetent und verbindlich am Telefon, aber auch humorvoll und mit großer Freude am Kontakt mit Menschen. Es kommt nicht von ungefähr, dass jedes Jahr rund 5500 Kunden mit Hauptstadtreisen.com durch Europa fahren, Tendenz steigend.
[September 2014]