Bedrohen Fintech-Unternehmen traditionelle Bankinstitute? Dieser Artikel beleuchtet die Frage, inwiefern Finanztechnologie-Startups die Gleichgewichte im Bankensektor verschieben.
Mit wenigen Ausnahmen sind die meisten Finanzinstitute bei Verbrauchern als Marken nicht sonderlich beliebt. Als die globale Finanzkrise mit dem Crash von 2008 ihren Höhepunkt erreichte, sank das Ansehen der Banken noch tiefer. Als später Details zu moralisch fragwürdigen bis betrügerischen Praktiken bekannt wurden (zum Beispiel in Form von Subprime-Krediten und faulen Kreditausfallversicherungen), gerieten die globalen Märkte ins Taumeln. Investmentbanking-Giganten wie Lehman Brothers und Goldman Sachs standen plötzlich als Kriminelle da.
Das in der Öffentlichkeit weit verbreitete Misstrauen gegenüber Banken und die volkswirtschaftlichen Umwälzungen erzeugten gemeinsam ein Klima des Wandels, das mit dem leicht überstrapazierten Begriff «disrupt!» jedoch den Kern der Sache trifft. Vor 2008 hätte sich kaum jemand getraut, den zum Teil über 100 Jahre alten Häusern mit Banklizenzen und milliardenschweren Bilanzen den Kampf anzusagen. Aber seit dem Crash ist nichts mehr wie vorher.
Disrupt Banking
Entrepreneuere witterten Marktchancen – vielleicht auch von ein einer Prise selbstgerechtem Eifer angetrieben. Parallel zur Finanztechnologie (daher auch der englische Begriff Fintech) wuchs auch eine neue Generation von Money Movern heran, deren Produkte die traditionellen Großbanken einfach umgehen.
Das Potenzial von Fintech beruht auf der Stärke der globalen Vernetzung (oder «der Cloud»), um Banking-Dienste für Menschen billiger, effizienter und schneller zu machen. Zum Beispiel durch bessere, billigere und schnellere Möglichkeiten, Geld ins Ausland zu überweisen, Kreditausfallrisiken zu berechnen, Kredite an Individuen oder KMU zu vergeben sowie internationale Transaktionen abzuschließen. All diese Aufgaben sind traditionellerweise Domänen der Banken. Doch Startups aus Finanzzentren wie London, aber auch aus dem Silicon Valley revolutionieren das Geschäft mit Geld in schwindelerregendem Tempo.
Steigende Umsätze
Obwohl in den USA am meisten in Fintech investiert wird, haben Großbritannien und Irland mit ihren unternehmerfreundlichen Steuergesetzen derzeit die größten Wachstumsraten: 74% als Jahresdurchschnitt seit 2008. Im Silicon Valley sind es nur 13%.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie von der international tätigen Unternehmensberatung Accenture zeigt, dass das Investitionsvolumen im Bereich Fintech von 928 Millionen Dollar im Jahr 2008 auf 2,97 Milliarden Dollar im Jahr 2013 gestiegen ist. Allein die Fintech-Investitionen haben für eine Vervierfachung des gesamten weltweiten VC-Investitionsvolumens gesorgt.
Die globale Finanzwirtschaft hat etwa 50 Billionen US-Dollar an Vermögenswerten. Niemand möchte bei Bloomberg oder in einer örtlichen Bankfiliale den historischen Wandel verpassen. Vor allem nicht die Banken selbst.
12.000 Unternehmensgründungen
Laut einer aktuellen Studie von McKinsey, einer weiteren internationalen Unternehmensberatungsfirma, hat sich die Digitalisierung von Finanztransaktionen im vergangenen Jahr «deutlich beschleunigt». McKinsey hat über 12.000 Unternehmensgründungen gezählt, die im Bereich Finanzdienstleistungen tätig sind. Zur gleichen Zeit wollen immer mehr Kunden mobiles Banking auf dem Smartphone oder Tablet nutzen.
All das bedeutet noch nicht gleich den kompletten Niedergang der traditionellen Finanzinstitutionen. Aber es führt ihnen die Notwendigkeit vor Augen, sich anzupassen: Die Banken müssen die Wünsche ihrer Kunden erfüllen und vermehrt digitale Dienste anbieten, um disruptive Startup-Konkurrenten auf Distanz zu halten. Gleichzeitig müssen die Banken Auflagen der Regulierungsbehörden erfüllen und ihrer Arbeitsprozesse im Back Office automatisieren. Letzteres könnte Kosten um bis zu 50% einsparen.
Die Zeichen stehen auf Wandel. Schon 2010 haben JPMorgan Chase & Co., die Bank of America, American Express und Goldman Sachs in Zusammenarbeit mit Accenture gemeinsam ins Fintech Innovation Lab investiert, ein jährlich stattfindendes Accelerator-Programm in London und New York.
Fintech-Stars von morgen
Der größte ist sicherlich TransferWise, ein Peer-to-Peer (P2P)-System, das Überweisungen in 176 Währungen ermöglicht und dabei bis zu 90% der zum Teil horrenden internationalen Überweisungsgebühren einspart. Unterstützt wird TransferWise vom PayPal-Mitgründer und ehemaligen CEO Peter Thiel, sozusagen einem Fintech-Großvater aus Zeiten vor dem Crash 2008. Seit der Gründung vor rund drei Jahren wurden via TransferWise rund 1,5 Milliarden US-Dollar überwiesen. Gerüchten zufolge hat Facebook ernsthaftes Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem Unternehmen bekundet.
Für Unternehmen auf der Suche nach Krediten sind Funding Circle, Marketinvoice und Zopa interessante Alternativen zu herkömmlichen Banken. CurrencyFair bringt sich als neue Adresse für den Umtausch von Währungen und TransferGo für P2P-Überweisungen in Stellung.
Die traditionellen Platzhirsche wollen sich das großes Geschäft natürlich nicht verderben lassen. Digitale Disintermediation (Einlagenumschichtung) wird spätestens in diesem Jahr zu einer Bedrohung für traditionelle Häuser, wenn Apple Pay nach den USA nun auch in Europa eingeführt wird. In nicht allzu ferner Zukunft wird an der Kasse statt einer EC- oder Kreditkarte vielleicht eher mal ein iPhone oder die Apple-Uhr gezückt.
Referenzen
- www.forbes.com/sites/ilyapozin/2014/12/14/15-fintech-start-ups-to-watch-in-2015
- www.techcrunch.com/2014/04/16/the-london-fintech-boom-transferwise-and-others-hit-record-numbers
- www.bloomberg.com/news/articles/2014-09-28/lenders-disrupt-u-k-finance-funding-start-ups-banks-avoid
- www.bloomberg.com/news/articles/2014-09-28/london-fintech-incubator-nurtures-rebels-defying-banks
[März 2015]